Wie will ich Lehrer sein?

Stefan Beyer | 26.06.2019 schule lehrer leben beruf nachhilfe

Ich bin ein Schul-Kritiker. Das ist nichts Neues. Aber ich bin eben auch Lehrer. Nur habe ich bisher noch nicht den Ort gefunden, an dem ich wirklich gerne Lehrer sein möchte.

Staatliche Schulen sind in meinen Augen zu sehr darauf ausgerichtet, Leistungskontrollen durchzuführen und verdrängen dabei die tatsächliche Bildung in den Hintergrund. Andere Schulen bieten Alternativen an – es bleiben aber eben meist doch Schulen im herkömmlichen Sinne.

Gruppen-Bildung nach Plan

Die allermeisten Schulen in Deutschland orientieren sich an dem Paradigma der Schul-Besuchs-Pflicht. Gezwungenermaßen. Aber auch die Schul-Curricula und Stundenpläne geben feste Inhalte zu festen Zeiten vor. Das heißt 15 bis 35 Kinder machen das Gleiche, egal ob das zu den individuellen Bedürfnissen passt oder nicht.

Zu den individuellen Bedürfnissen gehören z.B. Bereiche wie

  • persönliche Interessen
  • Reife / Entwicklungsstadium
  • aktuelle Lebenssituation
  • Veranlagungen

Es gibt Konzepte, die versuchen, den Phasen der menschlichen Entwicklung gerecht zu werden. Dabei wird die Auswahl der Lehrinhalte und die Blickrichtung auf diese an einem Entwicklungsmodel orientiert. Bei großen Gruppen kann dabei aber letztendlich doch nur ein grober Durchschnitt berücksichtigt werden.

Man muss nehmen, was man bekommt

Was bringt ein Kind wirklich weiter? Sind es nicht so oft die Begegnungen mit Menschen, die beeindruckend sind, von denen man sich in seiner ganz eigenen Art verstanden und ernst genommen fühlt? Wenn ein Mensch verstehen kann, wie ich die Welt sehe, dann fühle ich mich wohl, dann kann ich Ratschläge annehmen, dann kann ich Vertrauen aufbauen. Aber ein Kind muss den Lehrer nehmen, den es bekommt. Ob das gut geht oder nicht. Dabei muss es gar nicht so weit gehen, dass ein Lehrer menschlich, fachlich oder pädagogisch fragwürdig handelt. Es kann auch einfach sein, dass zwei Menschen in dieser Lehrer-Schüler-Beziehung nicht zusammen passen.

Immer wieder höre ich von Eltern, dass ihr Kind nach einem Lehrerwechsel in Mathematik nicht mehr mitkommt. Umgekehrt kommt es natürlich auch vor, aber dann rufen die Eltern nicht bei mir an...

Natürlich sollte ein Lehrer ausgebildet sein, sich auf die individuellen Bedürfnisse eines jeden Kindes einlassen zu können. Aber erstens muss ich als Lehrer dafür keinen Nachweis erbringen, zweitens geht das bei 20 bis 30 Schühlern irgendwann nicht mehr wirklich und drittens gibt es da so viele Aspekte, die meiner Ansicht nach in diese Beziehung mit eingehen und darüber mitentscheiden, ob sie zu einer fruchtbaren Begegnung wird.

Nachhilfe: Nur Symptome behandeln?

Für mich ist klar: Wird Nachhilfe in Anspruch genommen, bescheinigt das weder dem Kind noch dem Lehrer Versagen. Vielmehr ist es ein Symtom des Systems: Es funktioniert eigentlich nicht ohne.

Wenn ich nun Nachhilfe gebe, unterstütze ich dieses System. Wenn man das Bildungssystem mit den beschrieben Nachteilen als gegeben sieht und Nachhilfe, Zusatzunterricht oder fachliche Hausaufgabenbetreuung für unausweichlich hält, stellt sich verstärkt die Frage nach gleichen Bildungschancen. Denn Nachhilfe kostet zusätzlich zu den Steuern, die die staatlichen Schulen finanzieren.

Dieser finanzielle Aspekt gilt übrigens auch in ähnlicher Weise, wenn sich Eltern für andere pädagogische Ansätze in Form von Ersatz- oder Ergänzungsschulen entscheiden.

Wird das richtige gefördert?

Wird Nachhilfe gebucht, dann wohl allermeistens für Fächer, in denen das Kind »schlechte Ergebnisse« erzielt, die ihm so gar nicht liegen. Anders ausgedrückt: Es wird zusätzliche Energie auf das verwendet, was nicht »von alleine« läuft.

Das ist auf der einen Seite sinnvoll, wenn man davon ausgeht, dass das Kind in allen Fächern eine bestimmte Leistung erzielen muss. Wenn man von individueller Förderung ausgeht, könnte man hingegen argumentieren, dass es an Quälerei grenzt, Kinder noch mehr machen zu lassen, was sie nicht mögen. Man müsste vielleicht eher das Gegenteil tun: Dort, wo sich Begabungen und Interesse zeigen, dort sollte man mehr Energie hineinstecken! Dem könnte man aber auch wieder entgegnen: Was einem leicht fällt, geht einem leicht von der Hand, da braucht man keine Unterstützung. Das Argument verdankt seine Gültigkeit aber im wesentlichen der Tatsache, dass die Prüfung eben alle Fächer etwa gleichermaßen verlangt, nicht nur die, für die man sich interessiert.

Ich will mit diesen Ausführungen in keiner Weise infrage stellen, dass jeder Mensch bestimmte Fertigkeiten haben sollte, um an dieser Gesellschaft teilnehmen zu können. Aber gehört Integralrechnung dazu? Steuererklärung wohl schon viel eher...

Und jetzt?

Wenn ich Mathematik unterrichte im Einzelunterricht, sind die mathematischen Inhalte nicht das Einzige worum ich mich kümmere. Wenn man wirklich nur »Pauken« und Prüfungsvorbereitung möchte, ist man bei mir falsch. Ich versuche in der Welt des Kindes Verständnis für Zusammenhänge zu entwicklen, die in der abstrakten Welt verloren gehen. Auf diese Weise bin ich auch ein wenig der Mentor, der ich immer sein wollte, und doch bereitet es mir Bauchschmerzen, noch nicht »das Richtige« gefunden zu haben.